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Atmosphärisches Wochenbuch

Atmosphärische Interventionen

Matthias Ohler am 22.02.2011

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Ein großes Festzelt, mehr als 1000 Besucherinnen und Besucher. Es läuft ein Wettbewerb, bei dem sich 18 Chöre der Stärke von 5 bis 65 Sängerinnen und Sängern  einem professionellen Wertungsgericht zur Beurteilung Ihrer Qualität und der Ermittlung der Besten unter ihnen stellen.

Der gastgebende Chor nimmt nicht am Wettbewerb teil, ist aber mit allen Sängerinnen und Sängern, den Führungsverantwortlichen und seinem Dirigenten vertreten zur Bestellung der organisatorischen Abläufe und zur Bewirtung der Gäste.

Auch der Ehrendirigent, der den gastgebenden Chor über zwanzig Jahre lang leitete und zu Erfolgen bei vielen solcher Veranstaltungen führte, ist als Ehrengast anwesend.

Beim Vortrag des kleinsten der angetretenen Chöre erleidet der Ehrenchorleiter, vor der Bühne in einer der Tischreihen sitzend, einen Herzinfarkt. Die sofort eingeleiteten Maßnahmen des Rettungsdienstes und der Ärzte dauern fast eine Stunde. Um die Szene stehen Menschen und spannen im Kreis weiße Fliestücher, um mögliche Blicke abzuschirmen.

Die Rettungsversuche bleiben ohne Erfolg. Der Ehrendirigent verstirbt.

Er wird hinausgetragen ins Nebenzelt.

Der Vorsitzende des gastgebenden Chores tritt ans Mikrofon und gibt bekannt, daß der Ehrenchorleiter soeben verstorben sei. Man werde beraten, ob und wie es weitergehe, und die Anwesenden dann informieren. Er bittet um Geduld und verkündet eine weitere Verzögerung von vielleicht einer halben Stunde. Es dauert fast eine Stunde, bis der Bestattungswagen zur Abholung des Leichnams erscheint.

Der Wettbewerb steht. Die anwesenden Teilnehmenden und Gäste stehen, gehen umher, sprechen, trinken, schweigen, warten. Die Organisatoren, das Wertungsgericht und Vertretrer der teilnehmenden Chöre – Vorstände, Chorleiter, Abgeordnete – treffen sich,während das Bestattungsfahrzeug erwartet wird, in einem nahe gelegenen Versammlungsraum zur Beratung. Es gibt verschiedene Vorschläge. Alle, die etwas sagen, schlagen vor, fortzufahren mit dem Wettbewerb; einige äußern, man könne außer Konkurrenz singen lassen, andere, man müsse gerade jetzt den Wettbewerb mit Wertung fortführen; der Verstorbene hätte es sicher so gewollt. Manche sagen nichts. Es wird schließlich einstimmig entschieden: The games must go on. Der Vorsitzende des Wertungsgerichts findet die Worte: Gerade jetzt sollten wir gute Musik machen. Er wird unter anderen mit diesen Worten die Entscheidung im Zelt bekannt geben. Es wird entschieden, Chöre und Publikum nicht aufzufordern, keine Reaktionen auf die bekanntzugebenden Wertungen zu zeigen.

Der Wettbewerb wird fortgesetzt. Die im Vortrag unterbrochenen fünf Sänger treten auf, nach Ihnen weitere Chöre. Guter, teils ausgezeichneter Chorklang wird geboten.

Als zum Abschluss des Wettbewerbs die Wertungen bekannt gegeben und die Preise zugeteilt werden, entsteht Jubel. Die Gewinner singen fröhliche Lieder. Das Publikum applaudiert, einige johlen und pfeifen. Bis in die Nacht hinein wird gesungen, geklatscht, getrunken. Viele sagen: Das hätte dem Ehrendirigenten gefallen.

Soweit eine mögliche Beschreibung.

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