Atmosphärisches Wochenbuch
Facebook Total
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Facebook-Gründer Marc Zuckerberg präsentierte gestern auf der Entwicklerkonferenz F8 in San Francisco die geplanten Änderungen für seinen Datenkonzern. Von der Geburt bis in die Gegenwart sollen alle Lebensereignisse der User in einer Art Endlos-Steckbrief auf Facebook versammelt werden. Jeden gehörten Song, jeden gesehenen Film, jedes gekochte Rezept, vielleicht noch jeden Gang auf bestimmte Örtchen soll der Nutzer demnächst mit seinem digital verknüpften Freundeskreis teilen dürfen. In der Zeitung von heute lese ich, der Vorteil für den Nutzer sei, die Stöberei in fremden Gefilden würde unkomplizierter, und der Server von Facebook würde mit mehr Daten als je zuvor gefüttert werden, so dass der unkomplizierten Konsumentenbeobachtung durch interessierte Firmen nichts mehr im Wege stünde.
Gut kann ich mich noch an die Zeit der Volkszählung Anfang der 80’er Jahre erinnern. Da sind wir als Schüler und Studenten demonstrieren gegangen, weil der Staat von uns wissen wollte, wo und wie wir wohnen. Und jetzt soll es plötzlich Firmen erlaubt sein, über Facebook direkt an uns Privatkonsumenten heran zu treten? Sie hören gerade Bob Dylan: Hier bitte schön unser Jubiläumsangebot - Bob Dylan „The Best“ für nur 9,99 Euro!
Die atmosphärischen Auswirkungen auf's tägliche Leben, wenn wir uns in unserem Facebooknetzwerk noch die trivialsten Dinge in Echtzeit mitteilen, wir wechselseitig in des anderen Sphären stöbern, kann kann man sich gut ausmalen. Wenn, während ich gerade mein Buch lese, sich Hans und Erika, einklinken und mich fragen, bei welchem Kapitel ich gerade bin. Auch wenn ich natürlich Hans und Erika zu meinen lieben Freunden rechne. Oder wenn Kurt über Hanna nach der ersten Liebesnacht mit einem Klick auf Facebook erfährt, wann sie als Kind die Windpocken hatte oder mit wem sie letzte Woche Dienstag in der Sushi-Bar zu brachte.
Die allumfassende Gläsernheit unserer täglichen Bewegungen - für die meisten Menschen wäre das ein Schreckenszenario. Zumindest ist der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung zu entnehmen, dass die Mehrheit der Bundesbürger gegen solch orwellsche Aktanten ist. Hier aber, im privaten Facebook-Netzwerk, soll die gegenseitige Bespitzelung und Beobachtung nun also ganz nebenbei möglich gemacht werden?! Und die Zeitungen und Nachrichten verkünden’s – ganz ohne kritische Sondersendungen. Bisher jedenfalls.
Neulich fragte mich ein mir fast unbekannter ehemaliger Seminarteilnehmer, wie es in X-Stadt gewesen sei. Er habe mich dort zufällig gesichtet. Ich war ziemlich perplex, aber sympathisch war mir die Ansprache dennoch. Warum? Der Mann hatte mich per Zufall in der Menge erkannt, mich aber nicht ansprechen wollen, da ich gerade in ein Gespräch vertieft gewesen wäre. Diese Form von Diskretion, fürchte ich, wird auf Facebook verlernt werden. Bei vielen wird bald ein permanenter Tag der offenen Tür sein.
Kommentare
26.09.2011
Thomas
Ja, da stellt sich schon die Frage, ob wir zukünftig alle die "Vorteile" von Vorratsdatenspeicherung, automatischen Bewegungsprofilen und Facebook-Biographien nutzen wollen.
- Brauchen wir mal wieder ein Alibi, müssen wir uns nicht mühsam erinnern, sondern können in einer zentralen Datenbank nachsehen, wann wir uns wo aufgehalten haben - und am besten auch gleich mit wem.
- Wir werden automatisch unvergesslich, weil unsere Facebook-Biographie auch im Jahr 3000 noch online nachlesbar ist.
- Alzheimer kann uns nicht mehr erschrecken, weil wir alles, woran wir uns nicht erinnern können, auf unserer persönlichen Lebenshomepage nachlesen können?
Privatsphäre 2.0 - der gläserene Bürger - und dabei sind wir selbst die Glasbläser unserer Omni-Transparenz?
26.09.2011
Matthias Ohler
Wir lernen daraus erneut die - mittlerweile - Machtlosigkeit des Staates. Und im Hintergrund - Aldo Haesler lässt grüßen - agiert auch hier Geld, wenn auch zunächst, aber typischerweise unbemerkt. Denn: aus welchem Grunde sonst sollte uns interessieren, was die andern grade machen? Check your value! Alle vorgeschobenen Gründe von Mitmenschlichkeit und sonstwas sind vollkommener Schmus, Zuckerwatte überm Spieß des Interesses. Und der "Facebook-Begriff" Freund(e) sowieso. Muß ich mir für die von mir im Leben so genannten vielleicht doch ein anderes Wort einfallen lassen. Also, Freunde, raus aus Facebook. - Zu spät.
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