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Atmosphärisches Wochenbuch

Locus amoenus

Raimund Schöll am 23.04.2014

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Kleine Pflanzenkunde: Rosmarin, Thymian, Oregano, Salbei  - links und rechts an den Wegen einer Felsengruppe. Elf Kilometer Wanderung bei beachtlicher Wärme. Man läuft sich gewissermaßen die Zivilisationsschwere aus dem Leib, Fahndung nach der mediterranen Leichtigkeit, erste kleine Andockungen. Dass hier fast nichts geschieht außer prozessierender Natur - für mich das wahre Mysterium.

Gedanke: Der Mensch sollte  - wann immer er will und kann - schöne Orte aufsuchen (dürfen). Schöne Orte - meist über Jahrhunderte lang gehegt und gepflegt, beackert - kultiviert.

Die Landschaft des Mittelmeerraums gilt als schöner Ort par excellence. Das Liebliche, Schöne und Erhabene feiert sich dort seit Jahrtausenden schon. Hier ein Brunnen, dort ein knorriger Olivenbaum, da ein duftender Rosmarinbusch.

In der Landschaft des Mittelmeers kann auf Zeit – und wer das will – die Lebensform des Paradieses getestet werden. Zumindest kann so getan werden, als ob!

Anders gesagt, ist das Aufsuchen des locus amoenus eine Art Gegenentwurf zur Erfahrung des locus terribilis.

Wenn das Grauen, das Schlechte allerorts auskeilt, warum sollten wir gerade dann nicht – und vielleicht sogar in bewusst romantisierender Übertreibung und ja, so oft es geht, auf den locus amoenus setzen? Symbolisch findet das, was wir als das Gute empfinden, dort so klar wie nirgendwo anders statt. Oder: Der Mensch leiht sich einen schönen Ort, zur Kultivierung seiner Innen- und Außenwelten.

Aber behauptet soll damit nicht sein, dass der locus terribilis nicht auch den Keim des Guten in sich trüge. Aber anders, denke ich. Wahrscheinlich eher als Trotzreaktion!

(O.G., Tagebucheintrag, April)

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