Atmosphärisches Wochenbuch
Nachdenken über Schnürlich
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Auf und ab und hin und her geht Harald Schnürlich nicht nur am Tag sondern auch zu Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint. In seinem Haus auf dem Parkett schlürft er zu seinen Bäumen, die aufgestellt in das Wohnzimmer hineinragen, zupft an diesem und an jenem Blatt, schaut aus dem Fenster während ihm in die Seele schießt, dass kein Mensch mit ihm gesprochen hat die letzten Tage, ja Monate, er aber mit jemandem gerne Worte hin und her gereicht hätte, weil das Leben ja nichts aufschiebt, sondern im Gegenteil vorwärts marschiert, dem großen Schatten entgegen, vor dem er sich allerdings nicht mehr fürchtet, weil die Dunkelheit unvermeidlich ist, sie sich ja schon in der Helligkeit auf ihn niedergelegt hat. So fasst er täglich in sein Waschbecken, spült Tassen und Hände, gibt vor, gerne in diesem Haus zu sein, sieht in den flachen Kasten hinein, selbst wenn nur stumpfes Geplärr und andere Grausamkeiten aus dem Weitseher herauspurzeln, den er denkend hin und wieder schon aus dem Fenster geworfen hat, die Hintertreppe nehmend, geworfen hat aus der oberen Dachluke auf das Stahlpferd des Nachbarn, das er schon in alle Abgründe verwunschen hat, weil der Nachbar jeden Tag damit in die Arbeit reitet und er ja auch weg reiten wollte, aber nicht mehr darf, weil sie ihm gesagt haben, es sei aus mit der Arbeit, diesem anzüglichen Vergnügen, dem er seit über dreißig Jahren nachgeeilt war. Es sei aus für immer, haben sie ihm gesagt, er könne aber in einer Auffängergesellschaft mit anderen abgehalfterten Pferden gerne so tun als sei er noch ein nützliches Glied der verschwiegenen Gemeinschaft.
Der Fall Schnürlich, sagte Saskia de Jong neulich, als wir uns miteinander unterhielten, sei typisch für die entkernten Angelegenheiten mit denen wir es zu tun hätten. Schnürlich dürfe sich nicht wundern, weil es dieses Planetarium in dem wir uns jeden Tag in aller schwülstigen Unechtheit aufhalten, gar nicht anders vorsehe. Schnürlich sei ein tragisches Beispiel für die Furchen, die das Land durchzögen, sagte sie. Es würde nur gelascht geschippelt getrippelt ausgelechzt verhohneporpelt katastrophiert und anders daher gesellschaftet, so dass Schnürlich damit hätte rechnen müssen, eines Tages - wie wir alle damit rechnen müssen - in eine solche Grabessituation hinein geglitten zu werden. Er trage selber Scham daran, nicht vorher schon aufgesprungen zu sein und gesagt zu haben: Dreck, dummer Dreck, dummer. Sie selbst gehe in schwarz - schon seit 1975 -, weil schwarz die richtige Farbe sei, man mit diesem Kleiderzeig der Welt etwas entgegenhalten könne. Sie protestiere darüber hinaus mit hektischen Flecken, anzüglichen Gesten und hin und wieder mit zerissenen Strümpfen. In ihrem Wohnviertel München Lehel gehe sie gar nicht mehr aus dem Haus, weil ja alle, die da aus ihren verlogenen Bürolöchern herauskämen, um in der Sushi-Bar essend auf zu fallen, schon töter seien als sie.
Rohrer, der der Unterhaltung beitrat, meinte, der Fall Schnürlich sei ganz und gar geklärt, weil nun mal so und nur so die Trompeten röhrten, die Vögel schon immer geflogen seien, wie sie fliegen und man nur ändern könne, wann und ob man morgens einen Kaffee trinkt oder nicht. Dass in allen Verhältnissen die Fugen gefugt seien, ein Aufbegehren eine unverfroren dumme Lokalerscheinung, initiiert von naiven Pfadfindern sei, die noch nie in ihrer Lebensabschnittsdaseinsweise am Käse der Realien, gekostet hätten. Dass der Käse ein Käse sei, müsse man einfach riechen, aber diese mit Stöcken und allerlei Fell ausgestatteten Wolfsmenschen würden davon träumen, die Zeiger der Uhrglocken in die Himmelsrichtung zu drehen, wo man doch schon lange wüsste, dass dies im Mittelalter nur Pest und Hexenablässe zum Vorabend des ausklingenden Mondes hinein gerußt hätte. Und überhaupt ist das künstlerische Dasein von Ihnen Frau de Jong ja ein nur überaus künstliches Dasein, sagte er dann noch und nahm seinen Bohrer zur Hand, um weitere Löcher in seine Daseinswand zu bohren, für die er immer schon sein ganzes Leben hart geschuftet hatte. Diese Künstler und Gescheitschwätzer, sagte Rohrer sich schließlich an mich wendend, diese Künstler und Gescheitschwätzer würden nur die pflegenden hegenden strebenden aufnehmenden besehenen bewährten geprüften abgewogenen austarierten begradigten effektivierten Gegebenheiten, die erheiternden und eroberten Angelegenheiten mit ihren Maden aus ihren fauligen Körpern erschlagen wollen, wohingegen er die klare Schiene der Eisenbahn und die Sicht des Piloten in allen Seinsvarianten der Pferdelust bevorzuge. Dieser Einschätzung sei nichts mehr hinzufügen, sagte Rohrer dann noch schwer atmend. Es gebe einen Sachzwang der Notwendigkeit, der Schnürlich erwischt habe, wie es im übrigen jeden erwischen könne.
Aus: Theo Dünnbiers Gedankenfluchten - Die Kunst den Überblick zu verlieren, unveröffentlichtes Manuskript, 2011 (Raimund Schöll)
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