Atmosphärisches Wochenbuch
Nochmal zu Berlin und den Mauerkindern
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Nochmal zu Berlin und den Mauerkindern. Ist grad interessant, finde ich.
Ich erinnere mich. Da gab’s einen Zeitungskiosk am Kurfürstendamm. Wenn ich in den Ferien bei meiner Großmutter war, durfte ich regelmäßig mit ihr dorthin fahren. Vier Stationen mit dem Doppeldeckerbus. Aufregend. Die vielen Geschäfte, Autos und unterschiedlichen Menschen. Und überall die älteren Damen, mit ihren großen komischen Hüten auf - in und rund um das Café Kranzler. Eine Bekannte meiner Großmutter, auch eine ältere Dame, war Pächterin des Kiosks. Ich bekam meistens ein Eis oder so was und ein Heftchen dazu gekauft. Manchmal durfte ich mir sogar eins gratis aussuchen. Weil mich die Kioskdame mochte. Die Mauer? Sie war weit weg für mich.
Manchmal war sie aber dann doch ganz nah. Meistens, wenn wieder mal eine schlechte Nachricht aus der „sogenannten DDR“ (sagte ja die BILD Zeitung gerne) gesendet wurde. Dann schimpften die beiden Damen wie die Rohrspatzen. Über die „Ostzone“ und den „ollen Honecker“, über die "Schikanen an der Grenze" usw. Die dort Lebenden wurden meistens als „Ostzonale“ tituliert. Ostzonale. Ich stellte mir sie verrußt, grau und gebückt gehend, verhärmt und unglücklich vor. Und dass man da ja nie rüber gehen sollte, hörte ich immer wieder.
Für mich begann so die „Ostzone“ eine geheimnisvolle Welt zu werden, die mich neugierig machte. Wenn mal wieder eine Parade dort abgehalten und im „Ostfernsehen“ übertragen wurde - Honecker seinen obligatorisch beigen Sommerhut tragend, umrankt von milde lächelnden Mitgenossen -, Jugendliche mit blauen Hemden und roten Tüchern in der Hand zur Tribüne hoch winkten, hab ich mir das immer gerne angesehen; was meine Oma widerum nicht so dolle fand. „Na wat kiekste denn da wieder, det is doch nüscht für dich Junge.“ Ich fand sie aufregend und bizarr zugleich die Paraden, und fasziniert hat mich, dass sie gerade mal 2 km Luftlinie von uns entfernt, während draussen vor dem Altbau meiner Oma friedlich die Vögel zwitscherten, stattfanden.
Ein Satz meiner Großmutter klingt mir heute noch im Ohr. Das muss kurz nach der ersten Reiseerleichterung, die Willi Brandt für die Westberliner erstritten hatte, gewesen sein. Der ging ungefähr so: „Na ick fahr nächste Woche mal wieder rüber in den Osten, meine Schwester und Onkel Hermann besuchen. Wir Ollen dürfen dette ja nu endlich. Wir können det, weil uns wolln se ja nich da behalten. Sone wie uns wolln die nich." Kichernd. Und sie fügte trostvoll hinzu: „du darfst da aber nicht mit, men Junge, det jet nich. Du hast ja noch dein janzet Leben vor dir.“
Kommentare
07.06.2012
Ute
Interessant, der imaginäre Feind schwingt zwischen den Zeilen mit. Berlin ist in seiner Präsenz so vielfältig.
Danke für die Schilderung dieser Erinnerung!
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