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Atmosphärisches Wochenbuch

Paybacktime

Raimund Schöll am 13.03.2016

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Neulich saß ich seit längerer Zeit mal wieder in meinem Stammcafé. Ich hatte etwas Zeit, habe dort in der Zeitung geblättert und hin und wieder mein Handy betastet. Mein Blick schweifte wie gewohnt über Capuccinotassen geschwängerte Tische, gekochte Frühstückseier und Croissants hinweg zu jungen schwatzenden Müttern mit ihren Babys, trübe drein blickenden Lebenskünstlern und geschäftige Jungmanagern. Ich sah der bienenfleißigen Bedienung zu, die der durch ein fallen gelassenes Wasserglas entstandenen Pfütze direkt neben mir mit Lappen und Putzeimer zu Leibe rückte, und fragte mich, was in aller Welt sich verändert haben mag, dass sich selbst in meinem Café eine veränderte Grundstimmung breit zu machen schien. Warum nur kam es mir so vor, als wäre alles etwas anders als noch vor einem Jahr, wo doch augenscheinlich nicht viel anderes als sonst da war.

Die Frage mag sich in mir schon einige Zeit vor dem Cafébesuch aufgebaut haben. Offenkundig schien sie lediglich in Form eines Gefühls existiert zu haben. Nun war daraus jedenfalls ein Rumoren geworden, das soeben an die Oberfläche meines Körpersystems gedrungen war, und ins rechte Licht gerückt werden wollte.

Ich nahm also, nachdem mir der zweite Capuccino gebracht wurde, und die Bedienung mir wegen der Pfütze entschuldigend zuzwinkerte, einen Bleistift zur Hand und begann zu notieren.

Ich notierte etwas über die aktuelle Politik und die offenkundig gewordenen neuen Lagerbildungen dort. Ich notierte mir etwas über Flüchtende, die bei uns Schutz suchen und über Mitbürger, ja auch Bekannte, die sich plötzlich überraschend anders als bisher im öffentlichen Raum benehmen. Zwischendrin notierte ich etwas über meinen Hund, der letzten Sommer verstorben war, übers Alter, das fortschreitet wie der tastende Finger an einer Perlenkette; ich notierte etwas über das Wetter in Griechenland, das für die Jahreszeit ungewöhnlich warm ist, schrieb auf, dass der griechische Regierungschef und unsere Regierungschefin nun im Gegensatz zum Vorjahr emphatisch den Schulterschluss wagen, dass Liberalkonservative plötzlich ihre Freundschaftsgefühle gegenüber Linken entdecken, und gleichzeitig Bürger, die nach rechts abdriften, wie Pilze aus dem Boden zu schießen scheinen, und sich vermeintlich besorgte darunter, in Dörfern und Städten augenscheinlich mit mobbenden Dumpfbacken - offenkundigen Schwachsinn skandierend - solidarisieren, dass Schreiberlinge wie Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk auf einmal ungeheuerlich krudes Zeug von sich geben, während der gute alte Martin Walser der Republik unlängst in einer Rede eine überraschend wohlwollendes Zeugnis ausstellte, nämlich jenes, das wir das schon schaffen würden.

Schließlich, nachdem ich meine Liste noch etwas fortgesetzt hatte, stellte sich eine Sache für mich recht deutlich heraus. Während ich zahlte und die nette Bedienung meinen Geldschein entgegen nahm, dämmerte mir, worum es im Kern derzeit gehen mag. Wir befinden uns als Gesellschaft in einer der größten Umbruchphasen der letzen Jahrzehnte, und was geschieht ist, dass wir unser Leben plötzlich anders betrachten müssen, und zwar nicht, weil wir es anders betrachten wollen, sondern weil wir dazu gezwungen werden. Die Welt klopft nunmehr nicht mehr höflich an unsere Tür an, sondern sie verlangt drängend und fordernd Einlass.

Die Zeiten, in denen wir uns noch vorgegaukelt haben, wir könnten uns trotz all der Krisen in der Welt weiter so verhalten wie bisher sind vorbei. Wir können nicht länger so tun, als ginge uns die Welt außerhalb der unseren nichts an, wir sind heraus gefordert mit den neuen Realitäten, welche die Welt uns auferlegt, und die wir ihr einst selbst rücksichtslos auferlegt haben, etwas anzustellen. Wir haben es mit einem verzögerten Wechselwirkungsphänomen - jetzt allerdings nicht mehr nur in Zeitlupe zu tun. Nennen wir es ruhig Paybacktime, was da derzeit geschieht.

Dabei entpuppten wir uns alle mal mehr und mal weniger souverän. Wir sind gleichsam zu Mitrudererern im großen Strom der Weltveränderung geworden, - von wegen Steuerer - in dem es Stromschnellen und Felsen gibt, an denen wir uns nun anstoßen und wund scheuern wie alle anderen auch auf dieser Welt, uns Gewissheiten und alte Gewohnheiten weg rutschen wie der Kies vom Lader. Und dabei stellen wir uns nicht immer besonders intelligent an. Das gilt gleichermaßen für Normalbürger sowie für Intellektuelle.

Vielleicht ist es das gewesen, was als Stimmung in homöopathischen Dosen auch in mein Lieblingscafe einzog und sich gerade dort mal Luft verschaffen wollte. Und das große Rad dreht sich unaufhaltsam weiter.

 

(O.G.)

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