Atmosphärisches Wochenbuch
Was tun ohne sein Amt?
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Beim Frühstück im Seminarhaus, in dem ich mich seit gestern aufhalte, war etwas wie Verlassenheit zu spüren. Natürlich stellt sich dieses Gespür ein mit dem Hintergrund der Information über den Rücktritt Horst Köhlers und damit verknüpfter Hypothesen über zu erwartende Stimmungen oder atmosphärische Gegebenheiten. (Einer magisch-schamanischen Spürung für Atmosphären ohne kommunikative Zusammenhänge soll hier nicht das Wort geredet werden). Der Eindruck, etwas wie Verlassenheit zu spüren, bestätigt sich, fragt man die Menschen, die mit am Tisch sitzen. Das Gefühl ist allerdings verbunden mit sehr interessiertem Forschen nach dem rationalen und emotionalen Kalkül, der dem Rücktritt Köhlers wohl vorangegangen sei. Auch hier werden atmosphärische Umstände ins Spiel gebracht. Vereinsamung in Bellevue. Eine tiefe Verletzung wird angenommen, deren konkrete Umstände und sachlichen Zusammenhänge wir (noch) nicht kennen. Das bonmot vom „politischen Suizid“ macht die Runde, als darüber gesprochen wird, daß der jetzt amtsführende Präsident und Bremer Bürgermeister Böhrnsen völlig unvorbereitet war, als er von der Entscheidung erfuhr. „Nicht viel anders, als wäre der Amtsinhaber gestorben.“
Es wird viel spekuliert werden, und wir werden noch viel erfahren. Auf zwei Fragen, die in den ersten Kommentaren der Medien, auch der Presse heute morgen, wenig oder noch gar nicht vorkommen, möchte ich hier hinweisen: Horst Köhler sprach davon, daß es an Respekt für sein Amt („mein Amt“) fehle. Das ist ein interessantes Angebot zur Anerkennung eines Possessivverhältnisses, das vielleicht einen Hinweis auf mögliche verletzte Befindlichkeiten und Handlungsfolgen abgibt.
Zum zweiten: es wird viel gefragt, woher Köhler kam, ob er über ausreichend tagespoltische Erfahrung verfügte, und vieles mehr. Wer fragt: Was wird Köhler jetzt machen, nachdem er das Amt nicht mehr ausführen muss? Geht er zu Gazprom?
Man darf vermuten, daß die jetzigen Regierungsparteien Köhler weiter demontieren werden, um seine zukünftigen politischen Kommentare behandelbar zu halten und, wo sie ihnen nicht passen, einzuköhlern. Das Novum besteht ja darin, daß es ab jetzt Kommentare geben kann, die von einem ehemaligen Bundespräsidenten kommen, der sein Amt freiwillig und vorzeitig verlassen hat und dessen Äußerungen deshalb eine ganze Weile lang damit in Verbindung gebracht werden können; und auf diese Weise in Verbindung mit politisch Handelnden, die eine wesentliche Rolle dabei gespielt haben, daß der jetzt amtsfreie Kommentator in das Amt kam, das er dann verließ.
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