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Atmosphärisches Wochenbuch

Winterfest

Raimund Schöll am 08.10.2012

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Montag. Wie immer an diesem Wochentag schlürft Gastwirt H. seiner Frau die Treppen abwärts hinterher. Draußen schwadet Nebelgrau dem Abend entgegen. Im Waschkeller greifen ein paar dünne Rosenäste vom Vorgarten nach dem Fensterstock aus. Fast so, als wollten sie sich zum Überwintern nach innen verkriechen. Sie nimmt ab, er soll aufnehmen. Drei graue Feinrippunterhosen, zwei gehäkelte Topflappen und eine Kochschürze liegen bereits im Wäschekorb, als sie sagt: Rudi, es ist wieder Zeit, du musst den Gastgarten winterfest machen.

Den Gastgarten winterfest machen - der Tätersatz. Und winterfest - das Täterwort. Bajonetteartig sticht es H. ins innere Lokal hinein. Seine Stammtischgäste dort geraten in Aufruhr. Alles schreit und geht wild durcheinander. H. stockt, schwankt, schnappt nach Luft. Er, der sonst so Unerschütterliche kennt sich bei sich selbst nicht mehr aus. Am Brotmesser, das gerade zuvor noch in der Küche an Wurst und Käse im Einsatz war, ballt sich seine Hand zur Faust. Die Luft steht, Motten flattern. Winterfest soll endlich ein Ende kriegen. Dann ein spitzer Schrei, dann Stille. Endlich.

Im Polizeipräsidium in der Münchener Etschstraße gibt H. zu Protokoll, die Eheatmosphäre habe ihm aufs Gemüt geschlagen. Und seit dreißig Jahren winterfest. Mögen andere so was aushalten. Er aber habe es einfach nicht mehr gepackt.

(Auszug aus Paargeschichten. Raimund Schöll, 2012, unveröffentlichtes Manuskript)

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