Atmosphärisches Wochenbuch
Wulff und die Sehnsucht nach dem Übermenschen
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Bundespräsident Wulff zog einst aus, um der zu werden, der er nun ist. Doch schon nagen sie an ihm, singen auf seinen Rücktritt zu: „Macht ihn wieder zum Hänschen klein“. Vor allem die, die es schon immer gewusst haben wollen, nämlich, dass einer wie er – einer, der aus schwierigen Familienverhältnissen stammt - nie so werden kann wie der feinsinnige Weizsäcker oder der väterliche Rau oder gar wie sie selbst. Abgesehen von seinem möglichen Fehlverhalten in Sachen Kredit, sei er angestrengt bemüht und auffällig uncharismatisch, wenn er auf Empfängen neben Scheichs und anderen Würdenträgern im Ausland daher schreitet, will man neuerdings beobachtet wissen. Jeder Schritt mit Bedacht getan, es richtig zu tun. Außerdem umgebe er sich gern mit Leuten, die einer anderen Kaste entsprängen, eben nicht der, der Künstler und Intellektuellen (vgl.aktuelle Spiegelausgabe).
Es darf die Frage gestellt sein: Was für einen Bundespräsidenten wollen wir eigentlich? Den Übermenschen, den Hyperanthropos? - wie die alten Griechen sagten. Einen, der wie ein göttliches Wesen über den Dingen steht und schwebt, zumindest einer, der das Spiel des „So-Tuns-Als-Ob“ beherrscht? Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch, ein Seil über einen Abgrunde, sagt Nietzsche in „Also sprach Zarathustra“. Der Bundespräsident soll ganz offensichtlich mehr als ein Seil sein, wenn man dem Eigenschaftenkatalog so mancher Leitartikler folgen mag, der nicht selten wie das Kompetenzprofil eines Überirdischen anmutet. Erinnert sei an dieser Stelle an Ex-Bundespräsident Horst Köhler, der auch recht schnell zum Kasperl geschrieben wurde, weil er einer war, dem man sein Bemühen, es richtig und gut machen zu wollen, ebenso wie Wulff ansah. Sein Gehabe sei wie das eines Sparkassendirektors, wurde gewitzelt – und das nicht einmal hinter vorgehaltener Hand. Köhler gab vielleicht auch deswegen entnervt auf.
Man muss kein Wulff-Fan sein, um gegenüber den fast reflexhaft anmutenden Versuchen, Politiker und besonders Bundespräsidenten, egal welcher Couleur angesichts vermeintlicher Habitusschwächen, als moralisch fragwürdige Subjekte aus dem Spiel zu schreiben oder zu reden, ein Unbehagen zu entwickeln. Glaubwürdige Figuren in der Politik? Klar, wer will das nicht. Man will ja auch glaubwürdige Freunde, Professoren und Geschäftspartner haben. Und dass Herr Wulff sich - neben seines Hangs zu Luxusferien und seiner ungeschickten Kreditaufnahme bei einem väterlichen Unternehmerfreund - gern mit zweifelhaften Geschäftsgestalten wie Carsten Maschmeyer umgibt, mutet tolpatschig an. Doch wenn ich dann - wie heute an der Tankstelle - angesichts der Wulff-Debatte Schlussfolgerungen wie jene höre, man solle „sie doch alle aufhängen, die Politiker“, werde ich nachdenklich. Erinnern wir uns an die Weimarer Republik. Dort waren Pogromstimmungen gegen die Demokratie mitunter deswegen entstanden, weil demokratische Politiker per se als verkommene und schwache Subjekte verunglimpft wurden. Auch damals wollte man den Übermenschen zur Rettung des Gemeinwohls und schließlich wurde daraus die Abschaffung der Demokratie.
Und wird „der Übermensch“ oder die „moralische Autorität“ als Denkfigur nicht gerade von jenen gern bemüht, die sich selbst gerne als „Heilige“ der politischen Beobachtung inszenieren? (siehe Guttenberg, der ja zu Anfang seines Erscheinens von einigen Leitartiklern nahezu zur Lichtgestalt gehypt wurde.) Ja, ich weiß, so sind sie halt die Spielregeln. Politische Systeme organisieren sich eben über aufgeladen moralische Prologe und Debatten. Aber als heuchlerisch darf das Spiel um den Bundespräsidenten diesmal bezeichnet werden, finde ich. Es ist schon fast wie eine Show mit dem Namen: Deutschland sucht den formvollendetsten Politiker, respektive Bundespräsidenten. Wenn dann bald auch der formvollendetste Journalist gesucht wird, soll’s recht sein.
Wie intelligent aus atmosphärologisch-soziologischer Sicht, diese imperativistischen Debatten allerdings sind? - diese Frage kann, ja muss gestellt werden, finde ich. Denn auch an Tankstellen wird Politik gemacht.
Kommentare
19.12.2011
Matthias Ohler
Aufhängen nicht. Entlassen schon. Und Giovanni di Lorenzo gleich auch. Und Dieter Hundt. Gender-Habitus hin oder her: Frauen bitte! Und endlich den Freiherrn erst gar nicht mehr erwähnen. Vergessen kann doch nicht so schwer sein.
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